Wadersloh (mw/bb). Als das Telefon in der Redaktion klingelt und sich ein junger Mann am anderen Ende der Leitung meldet und seine Geschichte erzählen will, wird mir schnell klar, dass diese eine besondere sein wird. Sie wird von einem jungen Mann handeln, der aus seiner Heimat flüchten musste, am anderen Ende der Welt ein neues Zuhause findet und in Wadersloh seine Leidenschaft für das Handwerk wiederentdeckt.

Vor dem Gespräch ist Tanveer Hussain immer noch ein wenig nervös. Kein Wunder, denn allzu oft gibt er keine Interviews zu seinem Alltag. Seit 2,5 Jahren ist Tanveer schon in Deutschland. Frankfurt, Bielefeld, Gummersbach – Der 31-Jährige musste häufig die Unterkunft wechseln, bis er in Wadersloh eine neue Heimat gefunden hat. Hier hat er sich gleich zwei Mal frisch verliebt: In eine Frau und in seinen Beruf. Bevor er aus politischen Gründen sein Heimatland verlassen musste, arbeitete er – wie schon sein Vater und Großvater- als Tischler und Schnitzer: „Das ist einfach der richtige Beruf für mich. Die Arbeit mit Holz macht mich glücklich“, gerät Tanveer ins Schwärmen und seine Augen beginnen zu Leuchten.
Eine Chance für den Neuanfang in Deutschland
Bei Familie Bühlbecker fühlt er sich zuhause. Umgeben von Holz und einer Arbeit, die ihn erfüllt. Zum Glück spielte die Ausländerbehörde in Gummersbach mit und ermöglichte es dem jungen Mann, ein einwöchiges Praktikum in der Zimmerei Bühlbecker zu absolvieren. Dann ging alles ganz schnell. Im Handwerk muss man einfach Nägel mit Köpfen machen. Zum 1. Juli 2016 wurde der Ausbildungsvertrag unterschrieben. Auch Andrea und Hermann Bühlbecker wussten sofort, dass der junge Mann nicht nur das Talent, sondern auch die Motivation für den Beruf mitbringt. „Wir müssen das einfach machen und diesem motivierenden Menschen eine Chance geben – ganz unabhängig von seiner Herkunft. Wir schätzen ihn als Mensch und Kollegen“, sagt Andrea Bühlbecker voller Überzeugung. „Eigentlich bilden wir jedes Jahr Fachkräfte bei uns aus. Ein vorheriges Praktikum ist Pflicht, denn so können die Bewerber vorher herausfinden, ob der Beruf des Zimmermanns etwas für sie ist. Viele unterschätzen die Arbeit, die aber sehr vielfältig ist. Man lernt ausserdem die vielen Arbeitsweisen der anderen Gewerke kennen.“ Auch Sohn Bastian, der selbst Zimmermann ist, weiss, dass der Berufsalltag nicht immer einfach, aber ausgesprochen abwechslungsreich ist: „Man ist in allen Bereichen tätig und nicht immer nur draußen. Wir haben einen sehr vielfältigen Job. Wir arbeiten nicht von der Stange und es wird nie langweilig.“ Das sieht Tanveer genauso.

Tanveer ist den Umgang mit dem Material Holz schon seit seiner Kindheit gewohnt, aber es gab auch kleinere Herausforderungen zu meistern. Dafür, dass er gerade einmal 2,5 Jahre in Deutschland lebt, spricht der junge Mann aus Pakistan erstaunlich gut Deutsch. Neben den Sprachkursen halfen vor allem Aufzeichnungen und tägliche Nachhilfe und Nachfragen beim Überwinden der Sprachbarriere. Holz wächst von alleine, man selbst mit seinen Aufgaben: Tanveer ist in Wadersloh angekommen. Privat und beruflich. Neben der Ausbildung im Betrieb, der Berufsschule Wiedenbrück und der überbetrieblichen Ausbildung in Brackwede, wo Baustoffkunde, Konstruktion, Grundwissen, Statik, Mathematik und der Umgang mit CAD-Programmen auf dem Lehrplan stehen, lernt er immer mehr über die Kultur seiner neuen Heimat: „Am Anfang war es schon eine große Umstellung. Das Einkaufen war immer sehr spannend. Ich koche selbst und habe so viel Neues hier entdeckt“, lacht der angehende Zimmermann. In der Freizeit steht Fahrradfahren auf dem Programm. Das Entdecken der Region. Zeitnah möchte er dem Sportverein beitreten und weitere Freundschaften knüpfen. Neben dem Abschluss seiner Ausbildung hat Tanveer viele weitere Pläne, möchte schnellstmöglich seine dreijährige Tochter aus Pakistan nach Deutschland holen, damit sein Glück endlich perfekt wird.

Kurz vor Interviewende fällt mir ein Tisch im Büro auf. Echte Handarbeit. Starkes Holz, ein starkes Motiv. Eine Schnitzerei zeigt das Firmenlogo der Zimmerei. „Das war das Weihachtsgeschenk von unserem Azubi“, strahlt Andrea Bühlbecker. Auf die kleinen Zacken der Säge im Logo ist Tanveer besonders stolz: „Die gibt es in dem Original-Logo eigentlich gar nicht“, schmunzelt der 31-Jährige. Der frische und kräftige Geruch von Holz ist unbeschreiblich – genau wie dieser Tisch und die Geschichte des jungen Mannes: Charakteristisch, einmalig und faszinierend zugleich. Tanveer hat eine neue Heimat gefunden. Inklusion beginnt mit etwas, das so groß ist wie ein Holzwurm: Einer Chance.
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Fotos/Text: Benedikt Brüggenthies